Die KI-Suchmaschine Perplexity AI hat ein Übernahmeangebot in Höhe von 34,5 Milliarden US-Dollar für Google Chrome abgegeben. Der Deal soll vollständig in bar abgewickelt werden. Perplexity verfolgt mit dem Angebot ein strategisches Ziel: den direkten Zugang zu den mehr als drei Milliarden aktiven Chrome-Nutzerinnen und Nutzern weltweit, um sich im immer härter geführten Wettbewerb um die KI-gestützte Internetsuche einen Vorteil zu verschaffen.
Doch was bedeutet dieses Angebot für Google – eines der mächtigsten Technologieunternehmen der Welt? Und wie realistisch ist es, dass Chrome tatsächlich verkauft wird?
Chrome ist weit mehr als nur ein Browser
Chrome ist seit seiner Einführung 2008 zum meistgenutzten Webbrowser der Welt geworden. Mit einem Marktanteil von über 60 % dominiert er den Zugang zum Internet – auf Desktops, Laptops und Smartphones. Für Google ist Chrome eine strategische Schlüsselplattform, weil:
- er die voreingestellte Google-Suche nutzt,
- er die Nutzung von Google-Diensten wie Gmail, YouTube oder Google Maps erleichtert,
- und weil er Daten über das Nutzerverhalten liefert – ein zentraler Rohstoff für personalisierte Werbung und KI-Trainingsdaten.
Ein Verkauf von Chrome würde Google also nicht nur ein Produkt, sondern einen der wichtigsten Zugriffspunkte auf das digitale Leben von Milliarden Menschen kosten.
Warum will Perplexity Chrome kaufen?
Perplexity AI ist ein stark wachsendes Unternehmen im Bereich der KI-gestützten Suchtechnologien. Es hat sich auf sogenannte „Antwortmaschinen“ spezialisiert, die nicht wie klassische Suchmaschinen Links, sondern direkt Informationen liefern – ähnlich wie ChatGPT. Bislang hat Perplexity rund eine Milliarde US-Dollar von Investoren wie Nvidia und SoftBank eingesammelt und wird mit 14 bis 18 Milliarden Dollar bewertet.
Trotzdem bietet Perplexity nun 34,5 Milliarden Dollar in bar für Chrome. Laut eigenen Angaben soll das Geld über mehrere große Investmentfonds bereitgestellt werden. Das Ziel: den Browser „im öffentlichen Interesse“ unter neue Führung zu stellen und gleichzeitig die eigenen KI-Produkte dort zu verankern.
Faktisch wäre das ein massiver Infrastrukturwechsel: Der Status der voreingestellten Suche bleibt vorerst unverändert. Falls sich die Defaults später verschieben, droht Google dennoch ein spürbarer Verlust an Suchvolumen.
Regulierungsdruck macht den Deal brisant
Der eigentliche Hintergrund des Deals ist jedoch politischer Natur. Google steht derzeit unter starkem Druck von Regulierungsbehörden, insbesondere in den USA. Das US-Justizministerium führt seit 2020 ein umfassendes Kartellverfahren gegen den Konzern. Ziel der Ermittlungen ist es, die marktbeherrschende Stellung von Google bei Online-Werbung und Internetsuche zu begrenzen. Eine der diskutierten Maßnahmen: die Zerschlagung von Googles Geschäftseinheiten, inklusive des Verkaufs von Chrome.
Perplexitys Angebot könnte in diesem Zusammenhang als taktischer Vorstoß verstanden werden: Sollte das Gericht tatsächlich auf eine Zerschlagung drängen, stünde Perplexity als Käufer bereit. Analysten glauben jedoch nicht, dass Google freiwillig verkaufen würde. Ein Deal käme nur zustande, wenn rechtlicher oder politischer Druck zu groß wird.
Die Risiken für Google: Kontrollverlust, Umsatzverluste, Imageschaden
Ein Verkauf von Chrome würde Google auf mehreren Ebenen empfindlich treffen. Zunächst wäre der direkte Zugang zu Milliarden von Nutzerinnen und Nutzern gefährdet. Chrome dient Google seit Jahren als zentrale Schnittstelle, über die sich viele der firmeneigenen Dienste wie die Google-Suche, Gmail oder YouTube nahtlos integrieren lassen. Fiele dieser Zugang weg, müsste Google deutlich mehr Ressourcen aufwenden, um seine Nutzer weiterhin zu erreichen, beispielsweise über Betriebssysteme, Apps oder alternative Partnerschaften.
Hinzu käme ein erheblicher Rückgang bei den Werbeeinnahmen. Chrome ermöglicht die gezielte und personalisierte Ausspielung von Anzeigen, ein Geschäftsmodell, das Google jährlich Milliarden einbringt. Ein neuer Eigentümer des Browsers könnte diese Strukturen ändern oder Googles Werbesysteme ganz entfernen, mit drastischen finanziellen Folgen.
Ein weiteres Problem stellt der Verlust wichtiger Nutzerdaten dar. Chrome liefert täglich riesige Mengen an Informationen über Surfverhalten, Gerätetypen, Ladezeiten und Interaktionen – Daten, die Google nicht nur für Werbung, sondern auch für die Weiterentwicklung seiner KI-Modelle nutzt. Ohne Zugriff auf diese Datenbasis gerät die KI-Strategie des Konzerns ins Wanken.
Parallel dazu würde Google im weltweiten Wettbewerb um die Vorherrschaft bei KI-gestützter Internetsuche zurückfallen. Konkurrenten wie Microsoft und Apple treiben die Integration eigener KI-Lösungen massiv voran. Ohne Kontrolle über Chrome könnte Google seine Technologie deutlich schwerer in den Alltag der Nutzerinnen und Nutzer einbetten: ein klarer Nachteil in einem zunehmend dynamischen Markt.
Und nicht zuletzt wäre ein durch Regulierungsbehörden erzwungener Verkauf ein politischer Präzedenzfall. Es wäre ein seltener, historischer Eingriff in einen Big-Tech-Konzern. Frühere Entflechtungen, etwa bei AT&T, zeigen zwar Präzedenz, doch die Abgabe eines Kernprodukts in der heutigen Plattformökonomie wäre außergewöhnlich. Für Google hätte das nicht nur symbolische Bedeutung, sondern könnte auch zukünftige Eingriffe in weitere Geschäftsbereiche wie Android oder YouTube begünstigen.
Was passiert als Nächstes?
Aktuell gibt es keine Hinweise darauf, dass Google das Angebot annehmen wird. Im Gegenteil: Der Konzern dürfte alle juristischen Mittel ausschöpfen, um eine Zerschlagung zu verhindern. Perplexitys Angebot bleibt jedoch bestehen und wird von Marktbeobachtern als kalkuliertes Signal an Regulierungsbehörden und Investoren verstanden.
Sollte es zu einem gerichtlichen Urteil gegen Google kommen, könnte der Verkauf von Chrome plötzlich realistisch werden, nicht, weil Google es will, sondern weil es muss.