Wenn Wissen sichtbar bleibt, aber die Klicks verschwinden
Wikipedia gilt seit mehr als zwei Jahrzehnten als Symbol für den offenen Zugang zu Wissen. Täglich greifen Millionen Menschen weltweit auf die Plattform zu, um sich über historische Ereignisse, wissenschaftliche Erkenntnisse oder aktuelle Entwicklungen zu informieren. Doch im Jahr 2025 verändert sich das Nutzungsverhalten spürbar. Die Wikimedia Foundation, Betreiberin von Wikipedia, verzeichnet einen deutlichen Rückgang der menschlichen Seitenaufrufe: ein Rückgang der Human Pageviews um rund acht Prozent, basierend auf revidierten Messungen für die Monate März bis August 2025 im Vergleich zu 2024. Während die Inhalte weiter gepflegt und erweitert werden, kommen weniger Leserinnen und Leser tatsächlich auf die Seite. Die Ursache liegt in einer neuen Form der Wissensvermittlung: Suchmaschinen und KI-Systeme liefern Antworten zunehmend direkt – ohne dass die Nutzer die Originalquelle noch aufrufen müssen.
Diese Entwicklung markiert eine Zeitenwende im Umgang mit Online-Wissen. Inhalte werden weiterhin auf Wikipedia erstellt, geprüft und aktualisiert, gelangen aber immer seltener auf direktem Weg zu den Menschen. Das Prinzip der freien Enzyklopädie bleibt bestehen, doch die klassische Nutzung verschiebt sich. Nutzer informieren sich, ohne zu wissen, dass die Informationen aus Wikipedia stammen. Damit verliert das Projekt nicht an Qualität, wohl aber an Sichtbarkeit. Zugleich bedeutet der Rückgang der Zugriffe auch ein Risiko für das Modell, das auf Spenden und freiwilliger Mitarbeit basiert. Denn weniger Besucher bedeuten weniger potenzielle Unterstützerinnen und Unterstützer.
Warum Wikipedia im KI-Zeitalter neue Antworten finden muss
Das Verhältnis zwischen Wikipedia und KI ist kompliziert. Künstliche Intelligenz nutzt Wikipedia als zentrale Quelle, um Modelle zu trainieren oder Inhalte für Sprachassistenten, Chatbots und Suchmaschinenantworten bereitzustellen. Das Wissen der Wikipedia bleibt also Grundlage – doch es wird in anderen Formaten weiterverarbeitet, ohne dass die Plattform davon direkt profitiert. Während die Zahl der automatisierten Zugriffe steigt, gehen die echten Leserinnen und Leser zurück. Das ist kein reines Zahlenproblem, sondern betrifft das Selbstverständnis des Projekts.
Wikipedia wurde geschaffen, um Wissen frei und überprüfbar zugänglich zu machen. Wenn jedoch Antworten aus Wikipedia stammen, ohne dass die Nutzer die Quelle erkennen, geht dieser Grundgedanke verloren. Hinzu kommt, dass die technische Infrastruktur der Wikimedia-Projekte durch massives automatisiertes Scraping stark belastet wird. Das führt zu höheren Kosten, während gleichzeitig weniger Besucher auf der Website spenden. Auch der Nachwuchs an Autorinnen und Autoren könnte langfristig schwinden, wenn Wikipedia in den Alltag junger Nutzerinnen und Nutzer kaum noch eine Rolle spielt. Viele von ihnen konsumieren Informationen heute über soziale Netzwerke und kurze Videoformate, in denen klassische Lexikonartikel kaum vorkommen.
Wie die Wikimedia Foundation versucht gegenzusteuern
Die Wikimedia Foundation sieht die aktuelle Entwicklung nicht als inhaltliche Krise, sondern als strukturelle Herausforderung. Die Artikel entstehen weiterhin durch das Engagement einer großen internationalen Community, doch das Umfeld hat sich verändert. Um der Entwicklung entgegenzuwirken, investiert die Stiftung in neue Formate und Projekte, die Wikipedia auch außerhalb der klassischen Website sichtbar machen sollen. Dazu gehören Social-Media-Initiativen, Videoprojekte und Experimente mit Wissensformaten in Online-Spielen. Ziel ist es, jüngere Zielgruppen dort zu erreichen, wo sie Informationen suchen.
Zugleich arbeitet die Stiftung an einer klareren Kennzeichnung und Attribution von Wikipedia-Inhalten, die in KI-Antworten oder Suchergebnissen erscheinen. Denn langfristig geht es nicht nur darum, Wissen bereitzustellen, sondern auch darum, dass die Quelle erkennbar bleibt. Ohne diese Transparenz droht das Prinzip des freien Wissens zu verschwimmen. Wenn KI-Systeme Inhalte verwenden, ohne die Herkunft kenntlich zu machen, verliert Wikipedia ihre Rolle als sichtbare Quelle und damit einen Teil ihrer Legitimation. Der Erfolg des Projekts hängt jedoch davon ab, dass Menschen verstehen, woher Informationen stammen und wer sie erstellt hat. Nur so kann die Idee einer offenen, gemeinschaftlich erarbeiteten Wissensbasis weiterbestehen.









