Was sind kognitive Verzerrungen?
Kognitive Verzerrungen sind systematische Muster des Abweichens von der Logik oder Vernunft, die oft zu einer verzerrten Wahrnehmung, irrigen Urteilen oder illogischen Interpretationen führen. Sie sind in der kognitiven Psychologie und Verhaltensökonomie weit verbreitet und werden häufig untersucht. Diese Verzerrungen beeinflussen, wie Menschen Informationen wahrnehmen und verarbeiten, Entscheidungen treffen und urteilen. Zunächst schauen wir uns Beispiele für kognitive Verzerrungen an, um dann auf deren sinnvolle Anwendung im Marketing einzugehen.
Bestätigungsfehler oder Confirmation Bias
Der Bestätigungsfehler, auch bekannt als Confirmation Bias, ist eine weit verbreitete kognitive Verzerrung, die das Denken und Urteilsvermögen von Menschen beeinflusst. Diese Tendenz beschreibt das unbewusste Bestreben, Informationen auf eine Weise zu suchen, zu interpretieren, zu bevorzugen und sich daran zu erinnern, die bereits existierende Überzeugungen oder Hypothesen bestätigt. Menschen, die diesem Bias unterliegen, neigen dazu, Beweise, die ihre Ansichten unterstützen, überzubewerten, während sie gleichzeitig Informationen, die diesen widersprechen, ignorieren oder herunterspielen.
Dies kann in einer Vielzahl von Kontexten auftreten, von alltäglichen Entscheidungen bis hin zu wissenschaftlichen Forschungen und politischen Meinungen. Der Bestätigungsfehler trägt dazu bei, dass Menschen in ihren Überzeugungen verhaftet bleiben, und kann die Entwicklung einer ausgewogenen, objektiven Sichtweise erschweren. Er spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Vorurteilen und Fehlinformationen und ist ein Schlüsselfaktor für das Phänomen der „Echokammern“ in sozialen Medien, wo Gruppenmitglieder überwiegend nur Meinungen und Informationen austauschen, die ihre vorherrschenden Ansichten bestätigen.
Beispiel:
Ein klassisches Beispiel für den Bestätigungsfehler ist die Art und Weise, wie Menschen Nachrichten und Informationen in sozialen Medien konsumieren. Nehmen wir an, jemand hat eine starke politische Meinung. Diese Person sucht wahrscheinlich aktiv nach Nachrichtenquellen und Social-Media-Beiträgen, die ihre politischen Ansichten unterstützen. Wenn sie auf einen Artikel oder einen Post stößt, der ihre Überzeugungen bestätigt, neigt sie dazu, diesen als glaubwürdig und wahr anzusehen. Gleichzeitig ignoriert oder diskreditiert sie Informationen, die ihre Meinungen herausfordern oder ihnen widersprechen, selbst wenn diese Informationen aus zuverlässigen Quellen stammen.
Confirmation Bias im Marketing
- Positive Kundenbewertungen und Testimonials: Menschen neigen dazu, Bestätigung für ihre Kaufentscheidungen zu suchen. Marketingkampagnen, die positive Kundenbewertungen und Erfolgsgeschichten hervorheben, können potenzielle Kunden bestärken, dass ihre Entscheidung, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu wählen, die richtige ist.
- Wiederholung von Botschaften: Wiederholte Botschaften können dazu beitragen, den Confirmation Bias zu verstärken. Wenn Kunden immer wieder ähnliche Botschaften über ein Produkt oder eine Marke hören, neigen sie dazu, diese Informationen als wahr zu akzeptieren, besonders wenn sie mit ihren vorhandenen Überzeugungen übereinstimmen.
- Echokammern in sozialen Medien nutzen: Unternehmen können gezielt in sozialen Medien werben, wo Nutzer bereits Gruppen oder Gemeinschaften angehören, die ihre Ansichten und Interessen teilen. Indem sie Inhalte erstellen, die diese spezifischen Gruppen ansprechen, können sie die Tendenz der Nutzer nutzen, Informationen zu bevorzugen, die ihre vorhandenen Überzeugungen bestätigen.
Verfügbarkeitsheuristik
Die Verfügbarkeitsheuristik ist eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von Ereignissen aufgrund ihrer mentalen Verfügbarkeit überschätzen. Dies bedeutet, dass wenn bestimmte Beispiele oder Informationen leicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden können, eine Person dazu neigt zu glauben, dass diese Ereignisse häufiger oder wahrscheinlicher sind, als sie tatsächlich sind. Diese Tendenz wird oft durch die Medienberichterstattung verstärkt, die bestimmte dramatische oder emotionale Ereignisse, wie Flugzeugabstürze, Haiangriffe oder terroristische Anschläge, hervorhebt. Obwohl diese Ereignisse statistisch gesehen selten sind, führt ihre intensive mediale Abdeckung dazu, dass sie leichter ins Gedächtnis gerufen werden, wodurch die Menschen ihre Häufigkeit überschätzen.
Beispiel:
Ein typisches Beispiel für die Verfügbarkeitsheuristik ist die Wahrnehmung von Flugreisen im Vergleich zu Autofahrten. Viele Menschen empfinden das Fliegen als gefährlicher als das Autofahren, obwohl Statistiken zeigen, dass Flugreisen tatsächlich viel sicherer sind. Diese Fehlwahrnehmung entsteht häufig, weil Flugzeugabstürze, wenn sie auftreten, extrem medienwirksam sind und intensiv berichtet werden. Sie hinterlassen einen starken Eindruck im Gedächtnis der Menschen.
Im Gegensatz dazu sind Autounfälle, obwohl sie viel häufiger vorkommen, weniger spektakulär und werden oft nicht in den Medien hervorgehoben. Dadurch erscheinen sie in der öffentlichen Wahrnehmung als weniger bedeutsam. Dies führt dazu, dass Menschen das Risiko des Autofahrens unterschätzen und das Risiko des Fliegens überschätzen, basierend auf der Leichtigkeit, mit der sie sich an spektakuläre, aber seltene Flugzeugabstürze erinnern können, im Vergleich zu den alltäglichen, aber zahlreicheren Autounfällen.
Tipps für das Marketing:
- Werbung mit Schock- oder Überraschungseffekten: Werbung, die starke emotionale Reaktionen hervorruft, sei es durch Humor, Überraschung oder sogar Schock, bleibt den Konsumenten länger im Gedächtnis. Diese Werbeformen können die Wahrnehmung der Marke oder des Produkts beeinflussen, indem sie eine überproportionale mentale Verfügbarkeit schaffen.
- Visualisierung von Statistiken und Informationen: Visuell ansprechende und leicht verständliche Darstellungen von Daten und Statistiken können die Verfügbarkeitsheuristik nutzen. Wenn Konsumenten sich leicht an beeindruckende Zahlen oder Grafiken erinnern können, neigen sie dazu, die dargestellten Fakten als relevanter und überzeugender zu bewerten.
- Erzeugen einer künstlichen Knappheit: Durch das Marketing von Produkten als "limitierte Auflage" oder durch Hervorhebung ihrer Exklusivität kann die Wahrnehmung ihrer Wertigkeit und Begehrlichkeit erhöht werden. Wenn Kunden denken, dass ein Produkt selten ist, überschätzen sie oft seinen Wert aufgrund der erhöhten mentalen Verfügbarkeit dieser Seltenheit.
Der Anker-Effekt
Der Anker-Effekt, auch als Anchoring Bias bekannt, beschreibt die kognitive Verzerrung, bei der Menschen in ihrer Urteilsbildung und Entscheidungsfindung übermäßig von einem initialen Informationsstück, dem sogenannten „Anker“, beeinflusst werden. Dieser Anker kann eine spezifische Zahl, eine erste Meinung oder irgendeine andere Form von Basisinformation sein, die als Referenzpunkt dient, auch wenn sie irrelevant für die eigentliche Entscheidung sein könnte. Sobald der Anker gesetzt ist, tendieren Personen dazu, ihre weiteren Überlegungen und Schätzungen um diesen Anker herum zu justieren. Dies führt oft dazu, dass die endgültige Entscheidung oder Schätzung näher am ursprünglichen Anker liegt, als es objektiv gerechtfertigt wäre.
In der Praxis wird der Anker-Effekt häufig in Verhandlungen, beim Preis-Setting oder in der Finanzwelt beobachtet. Beispielsweise kann der ursprüngliche Preis eines Produktes als Anker dienen, sodass selbst bei einem beträchtlichen Nachlass Kunden den Preis immer noch in Relation zu diesem ersten, höheren Preis bewerten und nicht auf Basis des tatsächlichen Wertes des Produktes. Ebenso können in Gehaltsverhandlungen die initiale Gehaltsforderung oder das erste Angebot als Anker fungieren, um den sich die weiteren Verhandlungen drehen.
Beispiel:
Ein alltägliches Beispiel für den Anker-Effekt ist der Prozess des Feilschens oder Verhandelns beim Autokauf. Angenommen, ein Autohändler hat einen Gebrauchtwagen mit einem Ausgangspreis von 15.000 Euro ausgezeichnet. Dieser Preis dient als Anker für potenzielle Käufer. Wenn ein Käufer zu verhandeln beginnt und einen niedrigeren Preis vorschlägt, orientiert er sich meistens an diesem Anfangspreis. Selbst wenn der Käufer den Preis auf 13.000 Euro herunterhandelt und der Verkäufer zustimmt, empfindet der Käufer dies oft als gutes Geschäft, obwohl der wahre Wert des Autos vielleicht nur 11.000 Euro beträgt.
Marketing und der Anker-Effekt
- UVP (Unverbindliche Preisempfehlung): Die Angabe einer unverbindlichen Preisempfehlung (UVP) kann ebenfalls als Anker dienen. Selbst wenn das Produkt zu einem niedrigeren Preis verkauft wird, dient die UVP als Referenzpunkt, der den Kunden das Gefühl gibt, ein Schnäppchen zu machen.
- Erstangebote bei Verhandlungen: In Verhandlungssituationen kann das Erstangebot als Anker dienen. Beispielsweise kann ein Verkäufer in einer Verkaufsverhandlung einen hohen Preis nennen, wodurch die nachfolgenden Verhandlungen um diesen Preis kreisen und wahrscheinlich zu einem höheren Endpreis führen, als wenn der Anker niedriger gesetzt worden wäre.
- Produktlinien-Strategie: Unternehmen können eine teurere Premium-Version eines Produkts einführen, um den Anker für die Preisgestaltung der gesamten Produktlinie zu setzen. Die Kunden empfinden dann die Standard- oder Basisversionen des Produkts als preiswerter, auch wenn diese im Vergleich zum Marktdurchschnitt teuer sein könnten.
Hinsight Bias oder Rückschaufehler
Der Hindsight Bias, auch als Rückschaufehler bekannt, ist eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen nach Eintritt eines Ereignisses glauben, sie hätten dieses Ereignis vorhersehen oder vorhersagen können. Dieser Bias führt dazu, dass Menschen im Rückblick ihre eigene Fähigkeit zur Vorhersage von Ereignissen überschätzen. Sie glauben oft fälschlicherweise, dass sie die Zeichen und Hinweise, die zu dem Ergebnis geführt haben, bereits im Voraus erkannt hatten, obwohl dies nicht der Fall war.
Der Hindsight Bias beeinträchtigt die Fähigkeit, aus vergangenen Ereignissen objektiv zu lernen, da er eine verzerrte Sicht auf die Vergangenheit schafft. Menschen neigen dazu, sich selbst und anderen zu suggerieren, dass sie klüger oder informierter waren, als sie tatsächlich waren, bevor das Ergebnis bekannt war. Dies kann zu einem falschen Gefühl der Sicherheit führen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ähnliche Fehler in der Zukunft wiederholt werden.
Beispiel:
Ein praktisches Beispiel für den Hindsight Bias ist die Analyse von Börsencrashs. Nehmen wir an, der Aktienmarkt erlebt einen plötzlichen und starken Einbruch. Im Nachhinein behaupten viele Investoren, Analysten und Wirtschaftsexperten, dass die Zeichen für diesen Crash klar und offensichtlich waren. Sie zitieren Faktoren wie überbewertete Aktien, wirtschaftliche Unsicherheiten oder schlechte Unternehmensnachrichten als offenkundige Indikatoren, die auf einen bevorstehenden Zusammenbruch hingewiesen hätten.
Diese Personen glauben, dass sie oder andere die Krise hätten vorhersehen müssen. Doch zum Zeitpunkt, bevor der Crash tatsächlich eintrat, waren diese Indikatoren oft nicht so eindeutig oder wurden von anderen, positiveren Wirtschaftsdaten überschattet. Der Hindsight Bias verzerrt die Wahrnehmung dieser Individuen, sodass sie sich im Nachhinein sicher sind, die Anzeichen für den Crash erkannt zu haben, obwohl sie vor dem Ereignis möglicherweise keine konkreten Vorhersagen oder Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Dies führt zu einer überschätzten Sicht auf die eigene Vorhersagefähigkeit und kann dazu beitragen, dass Lernmöglichkeiten aus vergangenen Fehlern übersehen werden.
Rückschaufehler im Marketing nutzen
- Nachträgliche Rationalisierung von Kaufentscheidungen: Marketingstrategien können darauf abzielen, Kunden nach dem Kauf zu bestärken, dass ihre Entscheidung die richtige war. Durch das Hervorheben von positiven Aspekten und Vorteilen des Produkts oder der Dienstleistung im Nachhinein, können Unternehmen den Kunden das Gefühl geben, dass sie immer schon gewusst hatten, dass dies die beste Wahl war. Dies stärkt die Markentreue und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Wiederholungskäufen.
- Fallstudien und Erfolgsgeschichten: Durch das Präsentieren von Fallstudien oder Erfolgsgeschichten, in denen Kunden oder Unternehmen durch die Verwendung eines Produkts oder einer Dienstleistung einen deutlichen Vorteil erlangt haben, kann der Hindsight Bias genutzt werden. Zukünftige Kunden könnten dadurch motiviert werden, eine ähnliche Entscheidung zu treffen, da sie glauben, dass sie im Nachhinein als offensichtlich richtig erscheinen wird.
- Schaffung eines Narrativs des Unvermeidlichen: Marketingkampagnen können darauf abzielen, ein Narrativ zu schaffen, dass der Erfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung unvermeidlich war. Indem sie retrospektiv die Faktoren betonen, die zu diesem Erfolg geführt haben, können sie den Eindruck erwecken, dass es offensichtlich war, dass dieses Produkt oder diese Dienstleistung erfolgreich sein würde.
Fazit: Kognitive Verzerrungen im Marketing einsetzen
Kognitive Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler, die Verfügbarkeitsheuristik, der Anker-Effekt und der Hindsight Bias offenbaren tiefe Einsichten in menschliches Denken und Entscheidungsverhalten. Diese Verzerrungen beeinflussen, wie Informationen wahrgenommen, verarbeitet und erinnert werden, und haben somit einen signifikanten Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Im Marketing können diese Erkenntnisse strategisch genutzt werden, um die Wahrnehmung und Entscheidungen der Zielgruppen zu beeinflussen. Durch das Verständnis und die Anwendung von Mechanismen wie dem Bestätigungsfehler können Marketer Inhalte und Botschaften schaffen, die die bestehenden Überzeugungen und Vorlieben der Kunden verstärken.